1000km ohne Motor

Tobias Meiler vom AeC Bad Nauheim überspringt die „magische“ 1000km Marke im Segelflug

Es ist schon 11:36 an diesem Sonntag, den 12.7., eigentlich recht spät, um einen größeren Überlandflug im Segelflug zu beginnen, als Tobias Meiler an dem gelben Griff in seinem Cockpit zieht, der ihn von dem Seil trennen wird, das ihn bis dahin mit dem Schleppflugzeug verbunden hat.

Ab diesem Moment gleitet sein Ventus 3, ein hochmodernes Segelflugzeug mit Flügeln, die eine Spannweite von 18m aufweisen und gleich einem Albatros mehrfach geknickt und gepfeilt sind, vollkommen lautlos durch die Luft und wird nur noch angetrieben durch die langsame Umwandlung von potenzieller Energie, der Höhe des Flugzeugs, in Vortrieb und Geschwindigkeit.

Zu diesem Zeitpunkt hat Meiler noch keine Ahnung, dass dieser Flug der bislang größte in seiner Streckenflugkarriere werden wird.

Zunächst richtet sich die Nase des Ventus nach Südwesten, folgt dem Hauptkamm des Taunus unter zunächst noch relativ niedrigen Wolken, und gleitet bis zum Rhein auf nur noch etwa 450m über Grund hinab – eine Höhe, die Meiler bis zur Landung nicht mehr unterschreiten wird. Dort endlich steht der erste richtig starke Aufwind des Tages, entstanden aus durch Sonneneinstrahlung erwärmter, aufsteigender Luft. In dem Aufwind kreisend, schraubt sich das Flugzeug hoch, jetzt schon auf eine Höhe von 1500m und ab hier geht es schneller voran und die Wolkenuntergrenze steigt. Weiter geht es über den Rhein, dem Höhenrücken des Hunsrücks folgend, bis weit ins deutsch-französische Grenzgebiet.

Hier beginnt Meiler, erfahrener Wettbewerbspilot und Fluglehrer im AeC Bad Nauheim, das Potenzial des Tages zu ahnen, dreht um und nutzt die für die Aufwindsentwicklung günstige Topographie für einen schnellen Ritt zurück nach Nordosten. In der Gegend von Wetzlar wendet er erneut auf Südwestkurs und erreicht wieder die französische Grenze. Die ansteigende Wolkenuntergrenze, zwischendurch kann der Segler bis auf 2400m über den Meeresspiegel steigen, und die starken Aufwinde erlauben ein schnelles Vorfliegen und damit sehr hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten.

Noch mehrfach hin und her geht der Flug durch den Westen Deutschlands im sogenannten „Jojo“, bei dem gute Wetterräume mehrfach durchkreuzt werden, um große Strecken mit hohen Schnittgeschwindigkeiten für die dezentral ausgetragenen Meisterschaften und Ligen zu erfliegen.

Es ist schon 19:45, am heimischen Flugplatz in Ober-Mörlen ist der Flugbetrieb schon so gut wie beendet und die Clubmitglieder finden sich zum gemütlichen Ausklang des Wochenendes auf dem Vorfeld zusammen, als Tobias Meiler am Rhein nach über 900km zurückgelegter Strecke endlich Heimatkurs aufnimmt und aus gut 2000m Höhe seinen Anflug auf Ober-Mörlen beginnt.

Dank moderner Tracking-Technologie, die es erlaubt, Flüge online mitzuverfolgen, hat sich auf dem heimischen Flugplatz rumgesprochen, dass dieser Flug ein ganz großer werden kann und es bilden sich Grüppchen um die Handys mit der App, die den Flieger mit Kurs, Höhe und Geschwindigkeit auf einer Landkarte zeigen.

Der Ventus 3 zählt zu den besten Flugzeugen seiner Klasse und kann aus 1000m Höhe bei optimalen Bedingungen etwa 50km zurücklegen. Bei Gegenwind und mittlerweile auch durch Mücken leicht verschmutztem Flügel ist dieser theoretische Wert aber nicht erreichbar, wissen die mitfiebernden Fliegerkameraden, und außerdem gilt es auch noch den Höhenzug des Wintersteins zu überwinden. Es reicht also noch nicht ganz bis nach Hause und die Spannung steigt.

Erst endlose 15 Minuten und eine lange Gleitstrecke später, zu einer Zeit, zu der normalerweise in unseren Breiten keine thermischen Aufwinde mehr zu erwarten sind, erfolgt kollektives Aufatmen, als das kleine Flugzeugsymbol südlich von Limburg noch ein letztes Mal zu kreisen beginnt und der letzte Aufwind des Tages Meiler in seinem Ventus noch einmal auf 1500m hebt.

Von hier aus kann der Ventus zeigen, was die Ingenieure bei der Konstruktion geleistet haben, und legt die verbleibenden 50km im freien Gleiten zurück. Endlich, es ist jetzt schon 20:30 und die tiefstehende Sonne taucht die Wetterau in goldenes Licht, wird die schmale Silhouette am Horizont über dem Römerturm erkennbar. Kurze Zeit später schießt der Ventus zu einem tiefen Überflug über die Landebahn und landet unter dem Applaus der Fliegerfreunde sicher wieder in Ober-Mörlen.

Der größte je von Ober-Mörlen aus durchgeführte Segelflug ist zu Ende!

1014km in 9 Stunden und 36 Minuten, eine rein sonnengetriebene Schnittgeschwindigkeit von 114km/h sind die kalten Zahlen, mit denen der Bordcomputer am Ende die aufregenden Erlebnisse dieses ganz besonderen Flugtages zusammenfasst, während ein überglücklicher Tobias Meiler ein wohlverdientes isotonisches Kaltgetränk und die Glückwünsche seiner Fliegerkameraden entgegennimmt.

Beitrag von Andreas Staubi

Bilder: Tobi Meiler, Leo Echtermeyer

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